8 Blickwinkel einer Transformation

Kapitel 2

Kapitel 2: Die Erkenntnis

Versetze dich in die Rolle von Manfred. Er ist der Product Owner der Teams, der gerade in seine neue Rolle als Bereichsleiter wechselt. Erlebe die gleichen Begebenheiten wie in Kapitel 1, diesmal nicht aus Katharinas, sondern aus Manfreds Sicht.

Szene 1: Gedanken und Pläne

Manfred stand am Fenster seines Büros und blickte auf das Großraumbüro gegenüber. Er konnte das leise Summen der Klimaanlage und das Klicken der Tastaturen hören. Er bemerkte die subtilen Zeichen von Unruhe unter den Teammitgliedern. Einige schienen besorgt, andere schienen in intensiven Gesprächen vertieft zu sein. 


Während er seine Gedanken sammelte, bemerkte er Katharina, die durch die Reihen von Schreibtischen ging. Sie wirkte ruhig, aber er meinte auch in ihren Augen eine Spur von Besorgnis zu erkennen. Er erinnerte sich an das Gespräch, das sie vor einigen Tagen geführt hatten, und wusste, dass sie beide einige Bedenken teilten und vor allem ins Tun kommen wollten.

Manfred lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück und dachte an seine Notizen:


Manfreds Notizen zu Führungsvakuum

Das Führungsvakuum im Team "MUH2000" war spürbar, die ersten Fragen wurden laut, wer denn nun Entscheidungen trifft hinsichtlich der Weiterentwicklung des Produkts, und er wusste, dass er schnell handeln musste. Er dachte an Julia, Magnus und Felix, drei jüngere Kollegen, die sich schon in der Vergangenheit sehr dafür eingesetzt und engagiert hatten, bei der Entwicklung des Produkts einen strategischen Blick zu wahren. Könnten sie die Rolle der Product Owner übernehmen und damit die Führungslücke schließen? Wären sie bereit für diese Herausforderung? Wie sollten sie zusammenarbeiten? Und worüber würde es Konflikte geben?


Auf dem Weg zu seinem nächsten Termin dachte er noch eine Weile darüber nach. Der Flur, den er durchquerte, erstreckte sich über die ganze Länge des Stockwerks und ließ einen hervorragenden Blick auf die Arbeitsbereiche der Teams zu. Direkt neben einer Gruppe von Entwicklern stand Katharina. Ah, das kommt mir gerade gelegen, dachte er sich und lief direkt auf sie zu. 


"Katharina“ begrüßte er sie und hielt neben ihr an. „Können wir kurz reden? Ich habe über die PO-Rolle nachgedacht. Anstatt einen neuen Product Owner für alle Teams zu ernennen, warum nicht für jedes Team einen eigenen PO? Drei Leute, die näher am Geschehen sein können und die spezifischen Bedürfnisse jedes Teams verstehen." Er freute sich, Katharina an Bord zu haben. Etwas Sparring und eine unabhängige Meinung dazu würden sicher guttun. Außerdem konnte ihm Katharinas Unterstützung bei der Umsetzung den Rücken freihalten.

Katharina nahm die Ideen gut auf. „Das kann schon funktionieren“, hörte er ihre wohlwollende Antwort. Das erleichterte ihn schon einmal. Weniger gut gefiel ihm, wie Katharina fortfuhr: „Damit das richtig läuft, müssen wir zuerst das Produkt und den Wertstrom besser verstehen.“


Sicher lag sie richtig mit dem Einwand. Eine genauere Betrachtung des Kontextes würde helfen, die Idee zu bewerten, die er gerade im Kopf hatte. Aber er wusste auch, dass er nicht lange warten wollte, die Pflichten und das Tagesgeschäft seiner neuen Rolle als Bereichsleiter würden ihn schnell einholen:


Manfreds Notizen zum Experiment

 

Daher musste er also schnell agieren und ein Signal für Veränderung setzen, wenn er seiner Idee eine Chance geben wollte. Und dann war da noch die Frage nach der Backlog-Pflege. Die funktionierte schon jetzt etwas verteilter. Aber er hatte diesen Hut noch auf. Wie lange würde seine alten Aufgaben als Product Owner weiter wahrnehmen können, während er schon dabei war, sich in seiner neuen Rolle zu finden? Und wenn man ehrlich war: die anderen Führungskräfte und Bereichsleiter sahen ihn schon in seiner neuen Rolle und forderten dort seine Aufmerksamkeit. Die Zeit drängte also.


"Das klingt, als ob das eine Weile dauern kann“, fasste er seine Bedenken vor Katharina zusammen. „Wer trifft in der Zwischenzeit die wichtigen Entscheidungen mit dem Team und sorgt für die Orientierung?”

Sie diskutierten ein paar weitere Details der Idee drei POs zu haben. Als er seinen Weg den Flur entlang fortsetzte, war Manfred dann doch erleichtert. Die Zukunft des Produkts "MUH2000" sah insgesamt vielversprechend aus. Er wollte seinen Teil gerne dazu beitragen. Dem Pragmatiker in ihm war aber auch klar, dass es noch viel zu tun gab und noch viele Fragezeichen zu klären waren.


Katharina würde noch Interviews mit einzelnen Teammitgliedern führen, um sich ein Bild von der Situation, den Bedürfnissen und der Bereitschaft der Menschen zu machen. Diese Perspektiven einzuholen sei wichtig, um einen legitimierten Status Quo zu bekommen, auf den eine Veränderung wie diese aufsetzen kann.


Was haben wir hier erlebt:

Manfred fühlt den Druck, Entscheidungen über die Führungsstruktur seines Teams zu treffen. Er teilt seine Gedanken mit Katharina und beide diskutieren die Vor- und Nachteile der Ernennung mehrerer Product Owners. Katharina betont die Notwendigkeit, das Produkt und den Wertstrom zu verstehen, um die Veränderung nachhaltig und effektiv zu gestalten. Manfred erkennt, dass schnelles Handeln erforderlich ist, aber auch, dass viele Unbekannte noch zu klären sind. Es bleibt ein Gefühl der Dringlichkeit, aber auch der Unsicherheit über den besten Weg vorwärts.

Und was hat das mit einer Transformation zu tun?

Veränderungen sind nie linear und selten einfach. Sie sind oft mit Unsicherheit, Ambivalenz und Spannungen verbunden. Das Modell der "Vier Zimmer der Veränderung" von Claes Janssen illustriert diesen Prozess eindrucksvoll. In dieser Szene beobachten wir Manfred, wie er durch die verschiedenen "Zimmer" navigiert.


Grafik zum Modell der Vier Zimmer der Veränderung von Claes Janssen


​Manfreds Position am Fenster, von dem aus er das Großraumbüro beobachtet, kann als Metapher für das Zimmer der "Zufriedenheit" gesehen werden. Er reflektiert die aktuelle Situation und nimmt wahr, dass eine Veränderung notwendig ist, hat aber noch keinen klaren Aktionsplan.


Als er den Druck verspürt, schnelle Entscheidungen zu treffen und sich der Herausforderung stellt, mehrere Product Owner zu ernennen, betritt er das Zimmer der "Verleugnung". Er erkennt die Notwendigkeit zur Veränderung, ist sich aber unsicher über die genaue Richtung und die Auswirkungen dieser Entscheidungen.


Das Gespräch mit Katharina kann als Eintritt in das Zimmer des "Chaos" interpretiert werden. Es gibt viele Unbekannte, Diskussionen über verschiedene Ansätze und die Notwendigkeit, den Wertstrom und das Produkt besser zu verstehen. Es ist ein Zustand des Übergangs und der Unsicherheit.


Noch hat Manfred das Zimmer der "Erneuerung" nicht betreten, aber die Grundlage dafür wird gelegt. Die Gespräche, die Reflexion und das Einholen von Perspektiven sind notwendige Schritte auf dem Weg dorthin.


Wie Manfred durchleben auch Organisationen diese Phasen, wenn sie sich in Transformationsprozessen befinden. Führungskräfte müssen erkennen, in welchem "Zimmer" sie sich gerade befinden und welche Unterstützung sie benötigen, um in das nächste Zimmer zu gelangen. Das Verständnis dieses Prozesses kann helfen, Veränderungen effektiver zu gestalten und die Beteiligten auf dem Weg mitzunehmen. Das Modell der Vier Zimmer bietet dabei eine hilfreiche Orientierung. Es erinnert uns daran, dass Veränderung ein kontinuierlicher Prozess ist und dass jeder Schritt – ob Unsicherheit, Reflexion oder Aktion – einen wichtigen Beitrag zur Gesamttransformation leistet.


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Szene 2: Das Experiment

Im Anschluss an die wöchentliche Teamsitzung blieb Katharina im Besprechungsraum und bat Manfred um etwas Zeit. „Eine halbe Stunde habe ich noch, dann bin ich bei den Bereichsleitern in der Budgetrunde“, bot Manfred ihr an. 


„Ich habe in den letzten Tagen fünf Interviews geführt und ich bekomme langsam ein Bild zusammen“, eröffnete Katharina. „Davon wollte ich dich kurz in Kenntnis setzen, und auch hören, ob du meine Eindrücke teilst.“ 


„Ich hatte mir vorher eine Zusammenfassung zurechtgelegt, aber die klingt wie ein Generalvorwurf, deshalb sage ich das hier mit aller Vorsicht und bitte dich um wohlwollendes Zuhören. Nimm es nicht als Vorwurf. Die Mitarbeiter haben den Eindruck, dass Richtung und Orientierung fehlen. Sie klagen auch, dass die Priorisierung von Features aus ihrer Sicht nicht zum Marktbedarf passt. Und wenn sie Entscheidungen brauchen, dann dauern die lange, was gerade in Architekturfragen wertvolle Zeit verstreichen lässt. Kannst du das nachvollziehen?“, schloss sie ihren kurzen Bericht. 


Manfred hielt sich zurück und versuchte Katharina gegenüber, die er sehr schätzte, nicht den Ärger aufsteigen zu lassen, den er wegen der Rückmeldungen verspürte. Er konnte sich denken, wer sich über welche einzelnen Entscheidungen bei Katharina beklagt und die Gelegenheit genutzt hatte, auch über eigene Versäumnisse hinweg die Mängel in der Führung zu suchen. „Also, nicht jedem gefällt jede Entscheidung. Selbst technische Entscheidungen sorgen für Unmut bei denjenigen, die die andere Technologie bevorzugen. Das ist ja normal. Unsere Produkte kommen zu langsam, das stimmt, aber ich kann nicht sehen, dass Führungsentscheidungen der Grund dafür waren.“ 


Katharina spürte Manfreds Ringen um Neutralität und Fassung, während er innerlich vielleicht gerne anders antworten wollte. „Lass uns mal überlegen, ob das mit der Idee der drei Product Owner besser laufen könnte. Ich will mit dir ja nicht die Vergangenheit aufrollen. Die ist eh vorbei. Deine Mitarbeiter vermitteln mir den Eindruck, dass eine andere PO-Konstellation hilfreich sein könnte.“ 


„Das denke ich ja auch“, erwiderte Manfred. „Die Idee ist aber auch schon deshalb verlockend, weil sie anders und neu ist. Das ist gedanklich schwer zu trennen, und wir müssten Anhaltspunkte finden, die uns sagen, ob es jetzt nur anders oder auch besser geworden ist, wenn wir die Idee umsetzen.“ 


Katharina ging zum Whiteboard im Besprechungsraum und teilte die Fläche in sechs Felder. „Genaugenommen diskutieren wir gerade über ein Organisationsentwicklungs-Experiment oder ein Change-Experiment. Dafür habe ich eine Darstellung, die hilft, die eigenen Gedanken zu sortieren. Es heißt Experimente-Canvas, angelehnt an Lean Change Management.“ 



„Mach‘ mal bitte langsam. Experiment ist ein schwieriges Wort in Zusammenhang mit Teams und Menschen. Wir wollen hier ja nicht rumprobieren, bis es passt.“, äußerte Manfred seine Bedenken. 


„Ich kann dich beruhigen, Manfred. Experimentieren meint hier nicht Rumzustümpern, sondern ganz im Gegenteil bezieht es sich darauf, eine eher wissenschaftliche Herangehensweise zu wählen. Das meint, eine Hypothese darüber zu formulieren, was erreicht werden soll, und woran man festmacht, ob diese Annahme nach einer vorher festgelegten Zeit angenommen oder abgelehnt wird. Es ist also eine Veränderungsdefinition mit Erfolgs- und Abbruchkriterien. Das ist ‚sauberer‘ als Vieles, was wir sonst in und mit Organisationen so machen.“ 


„OK, dann leg mal los. Ich habe nicht mehr viel Zeit, bis ich weitermuss.“ 


„Im Feld Status Quo halte ich das fest, was den jetzigen Zustand, der sich ändern soll, beschreibt. Da landet die späte Produktauslieferung, unklare Richtung, verzögerte Entscheidungen, und so weiter.“ Katharina beschriftete des Feld links unten im Canvas. „Links oben formulieren wir die Vision und halten fest, wie die gute Welt nach erfolgreicher Umsetzung unseres Vorhabens aussehen wird. Ich mache mal eine schnelle Skizze mit den drei POs drin.“ Katharina zeichnete.  


„Wie heißen die anderen Felder?“, meldet sich Manfreds Ungeduld. 



„Aus unserem Gespräch gerade möchte ich vor allem rechts oben das Feld ‚Indikatoren‘ beschreiben. Denn dahin gehören die von dir vorhin angesprochenen Anhaltspunkte, an denen wir festmachen, ob sich mit der neuen Besetzung der POs wirklich etwas verbessert hat. Wahrscheinlich muss da irgendetwas wie ‚schnelle Entscheidungen‘ rein, wobei mir das noch zu unkonkret ist. Dass sich die POs über die Anforderungen koordinieren, ist sicher auch ein Kriterium. Und wenn die drei anfangen, als Gremium zu agieren, dann ist das ein Hinweis, dass es falsch läuft.“ 


„Stimmt, wenn die Entscheidungen länger brauchen als bisher.“, fällt Manfred ein. „Ich muss jetzt wirklich los. Ich will nicht zu spät in der Budgetrunde sein. Wir müssen nächste Woche weitermachen. Kannst du das irgendwohin übertragen, wo wir digital weiterarbeiten können? Hier können wir das nicht einfach so auf der Wand stehen lassen.“, verabschiedet er sich. 



Was haben wir hier erlebt:

In einem offenen Dialog teilt Katharina ihre Erkenntnisse aus Feedbacks von Teammitgliedern mit Manfred. Sie betont die Wichtigkeit von klaren Richtlinien und schnellen Entscheidungsprozessen und führt Manfred in das Konzept des "Experimente-Canvas" ein, ein Tool zur Strukturierung von Veränderungsvorhaben. Trotz anfänglicher Abwehrreflexe erkennt Manfred die Notwendigkeit einer strukturierten Herangehensweise an Veränderungen mittels eines überprüfbaren Ansatzes und lässt sich auf das Format ein. 

Und was hat das mit einer Transformation zu tun?

Transformation ist ein Prozess, der oft von der Vorstellung geleitet wird, dass mit dem richtigen Ansatz alles nahtlos und ohne Rückschläge verläuft. Doch in Wirklichkeit stellt jede Veränderung, besonders in komplexen Systemen wie Unternehmen, eine Herausforderung dar, die nicht linear verläuft. Hier kommt die J-Curve ins Spiel. 


Die J-Curve zeigt eindrucksvoll, dass beim Beginn einer Veränderung, bevor die erhofften Verbesserungen eintreten, oft erst einmal ein Rückgang in der Leistungsfähigkeit zu beobachten ist. In Szene 2 sehen wir genau diesen Punkt: Manfred und Katharina sind sich der Notwendigkeit zur Veränderung des Führungsansatzes bewusst, stehen aber auch vor der Unsicherheit und den potenziellen Rückschlägen, die diese mit sich bringen könnte. Das Erstellen eines Experiments, wie es Katharina vorschlägt, ist ein Ansatz, um diesen vorübergehenden Rückgang zu antizipieren und zu steuern. Es stellt sicher, dass die Veränderung systematisch und überprüfbar erfolgt. Damit verringert sich auch das Risiko, dass die Veränderung aus der „Geduldsphase“ rausläuft und z.B. abgebrochen wird. 


Besonders hierbei ist auch die Idee der "Mikro-J-Curves". Anstatt einen großen, monolithischen Transformationsprozess zu durchlaufen, bei dem der Tiefpunkt schwer vorhersehbar und kontrollierbar ist, ermöglicht das Experimentieren die Aufteilung in viele kleinere Veränderungsschritte. Jeder dieser Schritte hat seine eigene kleine J-Curve, beginnend mit einer Hypothese, gefolgt von einem kurzen Rückgang und schließlich einer Verbesserung. Dieser Ansatz erhöht nicht nur die Kontrolle und Vorhersagbarkeit, sondern ermöglicht auch eine schnellere Anpassung und Korrektur, falls ein Schritt nicht wie erwartet verläuft. 


Wenn wir die J-Curve als Metapher nutzen: Manfred und Katharina befinden sich gerade am Anfang einer dieser Mikro-J-Curves. Sie erkennen die anfänglichen Herausforderungen und sind sich der potenziellen "Talfahrt" bewusst, die bevorsteht, bevor die erhofften Verbesserungen eintreten. Das Experimentieren und die Erstellung von klaren Kriterien für den Erfolg – wie z.B. schnellere Entscheidungsfindung oder bessere Koordination zwischen POs – dienen dazu, die Tiefe und Dauer dieses Tals zu minimieren. Das Ziel ist, die "Erholung" und den anschließenden Aufstieg zu einem besseren Zustand zu beschleunigen. 


Durch das Zerlegen in kleinere Experimente und Schritte kann das Team kontinuierlich lernen und sich anpassen, anstatt in einem langen, unvorhersehbaren Veränderungsprozess gefangen zu sein. Dieser Ansatz betont die Wichtigkeit der Reaktions- und Anpassungsfähigkeit in Transformationsprozessen. 


Insgesamt zeigt diese Szene, dass Veränderung nicht einfach ist und nicht immer direkt zum gewünschten Ergebnis führt. Aber mit dem richtigen Ansatz, dem Bewusstsein für die Herausforderungen und den richtigen Tools kann sie gesteuert und zum Erfolg geführt werden. Das Verständnis der J-Curve und das systematische Experimentieren, insbesondere in Form von Mikro-J-Curves, sind dabei entscheidende Bausteine. 


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Szene 3: Lass uns das versuchen

Seit zwei Stunden arbeiteten Manfred und Katharina bereits an der Ausgestaltung und Detaillierung des Experimente Canvas. Die Einblicke aus Katharinas Interviews hatten Manfred deutlich gemacht, wo die Reise hingehen musste. Er war froh über die Maßnahmen und Hypothesen, die auf dem Board bereits entstanden waren. Die Entscheidung, für jedes Team einen Product Owner zu ernennen, war aus seiner Sicht schon gefallen, und er war sich der Herausforderungen und Möglichkeiten, die diese Entscheidung mit sich bringen würde, voll bewusst.


Nach einer dringend nötigen Kaffeepause meldete sich Katharina nochmals zu Wort. "Manfred, ich habe mir nochmals Gedanken über das Product Owner Team Experiment gemacht.", begann sie.


Manfred nickte. In der Pause hatte er sich etwas zurückgezogen, konnte aber nicht wirklich abschalten. Ihm ging seine Verpflichtungen als Bereichsleiter durch den Kopf. Schließlich war er dafür verantwortlich, dass sich sein Bereich im Sinne der Organisation weiterentwickelte. "Ich auch, Katharina. Es ist zwar ein Experiment, aber auch ein großer Schritt, und ich frage mich, wie wir etwas Nachvollziehbarkeit und Klarheit reinbekommen können. Schließlich sind wir als Bereich nicht allein im Unternehmen und müssen mit unseren Stakeholder kommunizieren."


Katharina lehnte sich vor. "Ich verstehe den Gedanken und sehe genau darin auch eine große Chance. Die Selbstorganisation und die enge Verzahnung der Product Owner werden entscheidend sein. Dafür habe ich auch schon Ideen und Ansätze.“ Katharina schrieb eine kurze Notiz auf ein Post-It und hing dieses in das Themen-Backlog. 


Dann fuhr sie fort: „Lass uns aber erst gemeinsam die Indikatoren für den Erfolg und Misserfolg des Experiments definiern und die Vision ableiten. Dann können wir hier im Bereich und ins Unternehmen kommunizieren, wozu wir die Veränderung machen und führen auch ein faires Experiment mit klaren Leitplanken und Abbruchkriterien sowie Orientierungspunkten für eventuelle Anpassungen."



Sie füllten schrieben gemeinsam die letztenn Punkte im Experimente Canvas aus. Die letzten 90 Minuten waren wie im Flug vergangen. Manfred war froh, dass die Basis für die Kommunikation nun stand. Sie hatten bewusst mehrfach die Perspektiven gewechselt und diverse Fragen und Bedenken aus Sicht unterschiedlicher Stakeholder - sowohl aus dem Bereich als auch aus dem Unternehmen - in das Experiment eingearbeitet. Das gab ihm ein gutes Gefühl. 


Sein Blick fiel jetzt auf das Post-It von Katharina und er runzelte die Stirn. "Aber wie stellen wir sicher, dass die Produkt-Owner effektiv zusammenarbeiten und nicht nur an ihre jeweiligen Teams denken und in verschiedene Richtungen ziehen?"


Katharina lächelte. "Indem wir klare Erwartungen und Leitplanken setzen. Und indem wir regelmäßige Abstimmungen organisieren, in denen sie ihre Erfahrungen austauschen und voneinander lernen können. Das alles müssen wir so hinbekommen, dass wir Rahmen setzen und Orientierung geben, ohne ihnen die Verantwortung zu nehmen. Unser Ansatz dafür kann z.B. ein Kanban-System sein, damit unsere Product Owner sich an den Stakeholdern unseres Produkts orientieren und sich eher Gedanken über den Markt machen und nicht so sehr über die internen Bereichsbelange. Dazu gehören dann auch Mechanismen, um schwierige Entscheidungen bei Uneinigkeit zu treffen."


Die Diskussion ging noch einige Zeit weiter, bis es sich für beide wie ein Plan anfühlte. Am Ende waren sie sich einig. Manfreds abschliessendes "Das klingt sinnvoll. Lass es uns versuchen!” klang ein wenig nach Hollywood, so dass Katharina leise kicherte.

Was haben wir hier erlebt?

Manfred und Katharina vertiefen ihre Überlegungen zur Einführung von mehreren Product Ownern. Manfreds Sorge um klare Strukturen und Orientierung im Change-Prozess wird deutlich. Gemeinsam arbeiten Manfred und Katharina an klaren Leitplanken und Zielen für den Prozess. Am Ende fühlen sie sich gut vorbereitet, den neuen Weg auszuprobieren.

Und was hat das mit einer Transformation zu tun?

Veränderung ist oft ein Prozess, der durch Höhen und Tiefen gekennzeichnet ist. Das Modell der J-Curve visualisiert, dass Veränderungen oft zunächst zu einem Rückgang von z.B. Fähigkeiten oder auch Produktivität führen, bevor die erhofften Verbesserungen eintreten. Es ist eine Reflexion dessen, wie Veränderungen in der Realität ablaufen, und nicht, wie sie idealerweise verlaufen sollten. Das Experimentieren mit einer strukturierten und überprüfbaren Methode bietet eine Möglichkeit, Veränderungen methodisch und kontrolliert anzugehen. Es zeigt, dass man sich bewusst sein muss, dass es vor dem Erreichen der gewünschten Verbesserungen auch Rückschläge geben kann.


Die detaillierte Ausarbeitung und Kommunikation von Veränderungsvorhaben sind entscheidend für deren Akzeptanz und Erfolg. Es ist essentiell, klare Indikatoren, Leitplanken und Ziele festzulegen. Die J-Curve (siehe oben) erinnert uns daran, wie wichtig es ist, die "Geduldsphase" zu erkennen und zu akzeptieren. 


Führungskräfte und andere Beteiligte müssen bereit sein, durch diese Phase zu navigieren, ohne die Veränderungsinitiative vorschnell abzubrechen. Es geht darum, Vertrauen in den Veränderungsprozess aufzubauen, Veränderungen transparent zu kommunizieren und den Beteiligten die notwendigen Werkzeuge an die Hand zu geben, um die Transformation erfolgreich zu gestalten.

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Szene 4: Vielleicht funktioniert das tatsächlich

“Die drei stehen an ganz unterschiedlichen Stellen in ihrer Entwicklung“, sagte Manfred zu Katharina. Ihn ließ die Frage nach der wahrscheinlichen Dynamik im Product Owner Team seit ihrem gestrigen Austausch rund um das Experimente Canvas einfach nicht mehr los. „Unsere `Rahmengebung´, wie du sagst, muss deshalb sehr individuell ausfallen, weil die drei jeweils andere Unterstützung brauchen.”


“Absolut, das sehe ich auch so. Unsere Herausforderung besteht darin, die POs individuell zu begleiten und gleichzeitig ein Team daraus zu formen, das sich als übergreifender Treiber unseres Portfolios versteht”, schloss Katharina.


Katharina schlug vor, die potenziellen Product Owner Kandidaten, Julia, Magnus und Felix, kurz zu sich zu rufen, um ihre Meinung abzuholen. Das schätze Manfred an Katharinas Ansatz sehr: pragmatisch Thesen mit anderen zu prüfen, Änderungsbedarf zu identifizieren und zu integrieren und bei Bedarf dann auch Ansätze komplett zu verwerfen.


Kurze Zeit später saßen alle im Konferenzraum. Julia, Magnus und Felix schienen gespannt, aber auch ein wenig unsicher. Katharina eröffnete das Treffen. Nachdem die initiale Idee geteilt war, stellte sie die Frage, wie die drei sich jeweils in ihrer neuen Rolle als Product Owner sehen und fühlen würden.


Julia, immer direkt und ehrlich, meldete sich zu Wort: "Ich denke, wir sollten klare Rollen und Verantwortlichkeiten definieren. Jeder von uns hat unterschiedliche Stärken, und wir sollten diese nutzen."


“Ja, das sehen wir auch so. Das sind schon zwei sehr wichtige Punkte: Die Verantwortlichkeiten, die für euch drei gleich sein sollen und dann die Art, wie diese ausgeübt werden. Das darf und muss unterschiedlich sein, weil ihr drei verschiedene Menschen seid und eure Erfahrungen auch sehr verschieden sind”, antwortete Katharina mit Seitenblick zu Manfred.


Magnus nickte zustimmend. "Ja, und wir sollten auch regelmäßige Check-ins haben, um sicherzustellen, dass wir auf dem richtigen Weg sind."


“Was meinst du mit Check-in? Ich verwende den Begriff immer für die ersten paar Minuten eines Workshops oder Meetings.” Manfred wollte in diesem Treffen keine Unklarheiten stehen lassen. Er hatte ein kurzes Stirnrunzeln auch bei Felix und Katharina gesehen.


“Naja, wir müssen uns häufig - wahrscheinlich jeden Morgen - kurz austauschen, was dran ist, was gerade anbrennt und wo wir uns gegenseitig helfen können,” erklärte Magnus.


Felix wies darauf hin, dass ein Training für POs nützlich sein könnte.


Die Ideen gingen hin und her. Katharina machte sich Notizen, und konnte gar nicht alles festhalten, was gesagt wurde und ihr selbst dazu noch durch den Kopf ging. Sehr gut, was da alles zur Sprache kommt, dachte sie.


Manfred beobachtete das Gespräch mit dem Stolz, dass seine Leute hier die richtigen Diskussionen führen. Es ging nicht nur um eigene Belange im Bereich, sondern es wurde vor allem auch über das Portfolio und den Beitrag für die Kunden und das Unternehmen gesprochen. Vielleicht funktioniert das tatsächlich, dachte er.


Katharina schlug vor, das Treffen mit einer Session über die zukünftige Arbeitsweise und die größten Herausforderungen abzuschließen. Auf diese Weise würden alle am Schreiben beteiligt und es gab hinterher einen Stand, den man abfotografieren konnte. Manfred beteiligte sich aktiv an der Diskussion und fühlte sich ermutigt durch die Energie und das Engagement des Teams.




Als das Treffen zu Ende ging, verließ Manfred den Raum mit einem Gefühl der Zuversicht. Er war bereit, die nächste Phase mit vollem Vertrauen in sein PO-Team anzugehen. Jetzt galt es, das „offizielle Go“ zu bekommen.

Was haben wir hier erlebt?

Manfred und Katharina diskutieren die individuellen Herausforderungen und Chancen der potenziellen Product Owner. Durch ein Treffen mit Julia, Magnus und Felix gewinnen sie wertvolle Einblicke in deren Sichtweisen und Erwartungen. Manfred fühlt sich durch den Austausch ermutigt und zuversichtlich, den nächsten Schritt zu gehen. Manfred schätzt den proaktiven und lösungsorientierten Ansatz aller Beteiligter und ist deshalb zuversichtlich bezüglich der anstehenden Veränderung.

Und was hat das mit einer Transformation zu tun?

In dieser Szene begegnen wir einem der zentralen Elemente jeder erfolgreichen Transformation: dem Einbeziehen der Menschen und gemeinsamen Gestalten. Die Mitarbeiter - in diesem Fall Julia, Magnus und Felix - sind das Herzstück jeder Veränderung. Indem sie aktiv in die Gestaltung des zukünftigen Weges einbezogen werden, schafft Manfred nicht nur eine Grundlage für Akzeptanz, sondern ermöglicht auch, dass die Transformation auf echtem Verständnis und Engagement basiert.


Ein weiteres kritisches Element, das hier hervorgehoben wird, ist die Klarheit von Verantwortlichkeiten. In jedem Veränderungsprozess, insbesondere in komplexen Organisationen, kann Unklarheit zu Verwirrung, Überlappungen und letztlich zu Ineffizienz führen. Indem jeder (so gut als möglich) weiß, was von ihm erwartet wird und welchen Beitrag er zur Gesamtvision leistet, wird die Transformation gestärkt und erleichtert.


Die Bedeutung regelmäßiger Kommunikation kann nicht genug betont werden. Wie Magnus richtig feststellte, ermöglichen tägliche Check-ins nicht nur den Informationsaustausch, sondern bieten auch Gelegenheiten, Unterstützung anzubieten, Herausforderungen zu besprechen und gemeinsam Lösungen zu finden.


Schließlich zeigt Manfreds Rolle als Führungskraft, dass echte Führung nicht darin besteht, von oben herab Anweisungen zu geben, sondern darin, sein Team zu ermutigen, zu unterstützen und ihnen die Werkzeuge und den Raum zu geben, die sie benötigen, um erfolgreich zu sein. Sein Vertrauen in das Team und seine Offenheit für ihre Ideen sind ein Schlüssel zu ihrer gemeinsamen Vision für die Zukunft. Manfred zeigt damit durch seine Art zu führen wichtige Leadership Prinzipien.


Bei der wibas glauben wir, dass es viele „Zutaten“ braucht, um eine Veränderung erfolgreich zu gestalten. Wir nutzen diese Visualisierung, um auch im Alltag an die „Erfolgsfaktoren einer Veränderung“ zu denken:


Die Szene zeigt die Wichtigkeit einer kooperativen und inklusiven Herangehensweise an Transformation, die auf klaren Erwartungshaltungen, regelmäßiger Kommunikation und unterstützender Führung basiert. Das schafft auch die Basis und psychologische Sicherheit über Stärken und Schwächen zu sprechen und diese anzugehen. Ganz im Sinne: „Stärken stärken“ und „Schwächen schwächen“.


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Szene 5: Der Führungskreis und das Experiment

Manfred betrat den Konferenzraum, in dem die Bereichsleiter bereits versammelt waren. Sie wollten gemäß Agenda Budgetfragen und strategische Projekte besprechen. Manfred war das Experiment so wichtig, dass er die Begrüßungsrunde dafür nutzte, sein Thema zusätzlich zu platzieren. Einige der Kollegen sorgten sich um den Zeitplan, denn auch sonst wurde die Bereichsleitersitzung häufig überzogen. 

Manfred ließ sich aber nicht abbringen. Sein Standing in der Firma musste auch mal für was gut sein, dachte er, bevor er anhob: „Ich starte in meinem Bereich ein Experiment über zunächst drei Monate. Ich will, dass die Teams, die ich bisher als PO hatte, jeweils einen dedizierten PO haben.“ 

„Kaum Bereichsleiter und schon die Leute aufstocken“, hörte er von der anderen Tischseite einen Kommentar in scherzendem Ton. Oder doch bissig? Manfred gab sich keine Zeit, darüber zu grübeln. 

Er kontrollierte kurz, dass der Experimente-Canvas, den er per Beamer an die Leinwand warf, gut lesbar war. 

„Experiment heißt, dass wir uns die Wirkung monatlich anschauen. Fällt der Effekt negativ aus, beenden wir das Experiment nach drei Monaten. Sieht es in den Indikatoren gut aus oder uneindeutig, verlängern wir einmalig um drei Monate. Danach gibt es nur noch hopp oder topp. Hopp bedeutet, wir gehen zurück auf einen PO; topp heißt, wir bleiben bei drei POs.“ 

Die Mienen spiegelten die erwartbar unterschiedlichen Zustimmungswerte zu seiner Darstellung. Manfred interpretierte „Hört, hört!“, „Das wird nix!“ bis „Mutig, Herr Kollege.“ in die Gesichter der Runde. Geäußert wurden Fragen nach dem Effekt auf den Stellenplan, auf das Budget, auf die Tarifstufen der eingesetzten Leute, auf die Lieferfähigkeit. Und auch: wer denn die drei POs sein sollten. 

Diese Fragen konnte Manfred gut beantworten. Die Vorbereitung hatte sich ausgezahlt. Und der Canvas brachte die wesentlichen Fakten komprimiert in eine Übersicht, die auch für die Managementrunde taugte. Manfred war im Flow. 

Der Controller brachte es nach ein paar Minuten auf den Punkt: „Erst einmal sind das keine zusätzlichen Stellen und keine zusätzlichen Kosten. Eigentlich ist das alles deine Entscheidung, Manfred. Also hören wir in drei Monaten von dir, was dabei herausgekommen ist, oder? Es sei denn, wir merken es an der verbesserten Performance bei euch im Bereich, die sich sicher schnell rumsprechen wird. Also, ich habe nichts dagegen.“ 

Wenn es auch nicht des Controllers Entscheidung war, Manfreds Vorhaben abzunehmen, so wirkte sein Kommentar doch wie ein Beschluss der Runde. Man war froh, das Thema flott behandelt zu haben, ohne dass daraus eine Grundsatzdiskussion wurde. 

Manfred stutzte kurz, nutzte aber die entstandene Pause geschickt, um mit: „Danke für das OK, ich stelle das PO-Thema im nächsten Quartal wieder vor“ einen Punkt zu setzen und die Bühne für das nächste Thema zu räumen. Geht doch, ging es durch seinen Kopf. 

An den folgenden Agendapunkten beteiligte sich Manfred beschwingt. Die Runde dauerte auch nur unwesentlich länger als geplant und so blieb Zeit, die neuen POs direkt im Anschluss zu informieren. 

Manfred rief Julia, Magnus und Felix zu sich ins Büro. „Tja, manchmal gehen die Dinge auch ganz schnell“, fing Manfred an, „Wir können unser Experiment starten und ich will das auch möglichst zügig tun. Ich habe die Bereichsleiter informiert. Es gab Rückfragen, aber keine Gegenwehr. Es ist unser Ding – äh, jetzt euer Ding. Mit Unterstützung von Katharina und mir, natürlich.“

Was haben wir hier erlebt?

Manfred informiert die Bereichsleiter über das PO-Experiment. Nach einigen eher sachlichen Rückfragen ist klar, dass es mit dem Experiment offiziell weitergehen kann. Er informiert die zukünftigen POs über die anstehende Veränderung und die Rolle, die sie spielen werden.

Und was hat das mit einer Transformation zu tun?

In dieser Szene beobachten wir, wie Manfred seine transformative Idee in einem traditionellen Führungskontext präsentiert und verteidigt. Das bringt einige wichtige Aspekte der Transformation zum Vorschein: 

Kommunikation ist der Schlüssel: Eine Idee oder ein Konzept, egal wie brillant es ist, wird nur dann auf fruchtbaren Boden fallen, wenn es effektiv kommuniziert wird. Manfred hat sich darauf konzentriert, sowohl den Status quo als auch das Zielbild klar darzustellen. Er hat auch die Ausrichtung und das iterative Vorgehen hervorgehoben, um die anderen Führungskräfte auf die Reise der Veränderung mitzunehmen. Es zeigt, wie wichtig es ist, während einer Transformation konsequent und transparent zu kommunizieren. Bei der wibas merken wir uns das anhand der Erfolgsfaktoren für Veränderungen: 



Führung kann nicht delegiert werden: Transformationen sind oft mit Unsicherheiten und Widerständen verbunden. Das hatten wir auch schon in den letzten Szenen anhand der J-Curve besprochen. In solchen Zeiten können Führungskräfte nicht im Hintergrund bleiben und hoffen, dass alles gut geht. Manfreds aktive Rolle im Verteidigen des Experiments zeigt, wie wichtig es ist, die Führung zu übernehmen, sich den Fragen und Bedenken zu stellen und sicherzustellen, dass das Team und die Organisation in die richtige Richtung gehen. Damit verhindert er in die unten dargestellte Change-Falle (also der Delegation von Führungsaufgaben an andere) zu laufen: 

Legitimierung durch Review: Das Einholen von Feedback und das Überprüfen des Veränderungsvorhabens durch andere Führungskräfte ist nicht nur ein Mittel zur Validierung, sondern auch eine Möglichkeit, den Ansatz zu verfeinern und sicherzustellen, dass er von der gesamten Organisation getragen wird. Es zeigt auch, wie wichtig es ist, während einer Transformation einen kontinuierlichen Review-Prozess zu haben, um sicherzustellen, dass die Veränderung sowohl relevant als auch effektiv ist. Insofern arbeiten wir kontinuierlich an Legitimation, um unnötige Widerstände zu vermeiden: 


Insgesamt zeigt diese Szene, dass es bei einer Transformation nicht nur darum geht, neue Ideen oder Prozesse zu implementieren, sondern auch darum, wie diese Ideen innerhalb einer Organisation kommuniziert, geführt und überprüft werden. Es ist ein ständiger Balanceakt zwischen dem Neuen und dem Alten, zwischen dem Fortschritt und dem Bewahren des Bestehenden. Es erfordert sowohl Mut als auch Diplomatie, und vor allem eine klare Vision und Entschlossenheit. 


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Szene 6: Ein Gremium, das keines sein darf

Die Entscheidung war gefallen. Das Experiment mit dem PO-Team sollte mindestens 3 Monate weiterlaufen. Manfred hoffte, dass es deutlich länger laufen würde und wollte es gerne zum Selbstläufer machen. Er glaubte an diese Form der verteilten Führung, da er sie schon als Product Owner mehrerer Teams im Bereich selbst gelebt hatte.


 Allerdings waren auch die Zeiten, seit er Bereichsleiter wurde, nicht ganz einfach gewesen. Er fühlte sich immer wieder genötigt, „als PO in die Bresche zu springen“ während er ja eigentlich schon viel mehr seiner neuen Führungsaufgabe als Bereichsleiter nachzukommen hatte.


Gleichzeitig hatte es auch Auswirkungen auf die Teams gegeben. Die empfundene Richtungslosigkeit war ein Vorwurf, der ihm immer noch in den Gliedern saß. Nach einigen Gesprächen mit Katharina konnte er dem eine positive Bedeutung geben: er hatte live erlebt, wie es ist, zu viele Jobs parallel zu machen. Auch deshalb wollte er den bestmöglichen Start für das Experiment „Product Owner Team“ ermöglichen. Das bedeutete aber auch ein paar Dinge einzurichten, die eventuell gerade nicht da waren.


Seine Bedenken hatte er Katharina mitgeteilt. Sie hatte ihm zugehört und ihn gebeten, darauf zu warten, dass die POs auch nach Klärung fragen. Das war wohl recht schnell der Fall gewesen. Noch in derselben Woche fand er sich mit den POs in einem Workshop-Raum wieder mit dem Ziel „den Startpunkt für das Experiment herzustellen“. Es wirkte beruhigend auf ihn, dass er als Bereichsleiter da erst mal gar keine exponierte Rolle hatte. Gleichzeitig schien seine Erfahrung als PO aber sehr gefragt. Er freute sich über das Arbeitstreffen und war gespannt auf das, was die Agenda so versprach:



Der Beginn des Workshops war wie erwartet. Die Rekapitulation des Experiments und der Austausch zu Stärken und Fallen waren konstruktiv. Und noch viel wichtiger war, dass alle ein ähnliches Bild zum Experiment entwickeln konnten.


Spannend war der Abschnitt zum methodischen Startpunkt. Katharina ließ die Gruppe eigene Erfahrungen einbringen und mögliche Ansätze diskutieren. Manfred konnte zum Beispiel sein Scrum-Wissen einbringen und betonen, dass es jederzeit einen Entscheider braucht und der PO niemals ein Gremium sein sollte. Das war auch die Stelle, als sie anfingen plötzlich über Kanban-Ansätze zu sprechen, um Entscheidungsverzögerungen zu reduzieren. Dabei dämmerte es ihm, dass hier eine Falle im Product-Owner Team lag. Katharina brachte diverse Ansätze ein, die sie in kleinen Beispielen erforschten: z.B. das Product-Backlog als Upstream-Kanban zu betrachten und damit eher einen Prozess für konkurrierende Ideen im Portfolio des Bereichs zu diskutieren, um dann ganz im Sinne der in Scrum zitierten Product Ownership in die richtigen Dinge zu explorieren. Mit der Zeit entstand ein Gesamtbild der Zusammenarbeit:



Ganz natürlich war dann plötzlich auch der Schritt, ein Team-Canvas zu erstellen. In diesem wurden nicht nur Ziele und notwendige Rahmenbedingungen geklärt, sondern auch einige Regeln etabliert. Zum Beispiel wurden gemeinsame strategische und koordinative Meetings der POs (und anderer Stakeholder) geregelt. Dabei wurde jedoch darauf Wert gelegt, dass die operative Zusammenarbeit mit den Teams im Vordergrund ebenfalls stattfand. Am Ende ging’s um Ergebnisse und nicht um Meetings. Dass Manfred während dieses Abschnitts eher als stiller Beobachter anwesend war, aber dennoch an essenziellen Stellen um seine Meinung gebeten wurde, machte ihn froh und stärkte sein Vertrauen.


Schön war auch der Abschnitt zum Erfahrungsaustausch. Manfred bemerkte, dass es nie eine wirkliche Übergabe gegeben hatte und dass das ein schales Gefühl hinterlassen hatte. Das war jetzt anders. Nach knapp einer Stunde war das Gefühl weg und Manfreds Erfahrungen flossen in die neue Arbeitsweise ein. Vermutlich war das nicht nur für ihn als ehemaligen PO im Sinne einer Übergabe gut, sondern half auch dem neuen PO-Team. Er hatte den Eindruck, dass sie wussten, dass sie jederzeit auf ihn zukommen konnten und trotzdem „selbst den Bus fuhren und nicht mehr nur für ihn“.


Womit er nicht gerechnet hatte, waren die guten Einwürfe der Team-Vertreter beim „Challengen des Ansatzes“. Es gab so viele Kleinigkeiten, die zu berücksichtigen waren. Und auf die wäre zumindest er nie selbst gekommen. 


Ein bisschen Sorge hatte er schon in der Vorbereitung des Termins gehabt, als Katharina ihm vorschlug andere Bereichsleiter-Kollegen einzuladen. Schließlich hatte er das Experiment erst vor kurzem sehr in der Bereichsleiterrunde durchgeboxt. Und jetzt sollte er es schon wieder verteidigen – und zwar vor den Kritikern. Erstaunlicherweise hatte die Gruppe die Bedenken gut integrieren können und er war überrascht gewesen über das Feedback seiner BL-Kollegen: „sie hatten ein gutes Gefühl, dass nichts runterfallen würde“ und boten sogar Hilfe an, „falls Regelungsbedarf an den Schnittstellen notwendig wäre". „Naja“, dachte er sich, „Beteiligung schafft halt Beteiligung.“


Am Ende schien alles stimmig und gut vorbereitet zu sein – zumindest soweit möglich. Ein Gefühl von Erleichterung stellte sich bei ihm breit. Er wusste, worauf zu achten war und spürte, dass sie auf dem richtigen Weg waren. Er dachte an die Zusammenarbeit mit Julia, Magnus und Felix und war überzeugt, dass sie die richtigen Personen für die Aufgabe waren – auch wenn sie manche Entscheidungen anders als er treffen würden.


Nach dem Treffen blieb Manfred noch einen Moment sitzen. Er blickte aus dem Fenster und ließ seine Gedanken schweifen. Dieser Ansatz ist neu und unerprobt, dachte er, aber er hat das Potenzial, unsere Arbeitsweise zu revolutionieren und uns näher an unsere Ziele zu bringen.

Was haben wir hier erlebt?

Manfred und die zukünftigen POs erarbeiten in einem Workshop die Grundlagen und den methodischen Ansatz der Zusammenarbeit. Sie definieren klare Rollen, Verantwortlichkeiten und Arbeitsweisen, wobei Manfreds Erfahrungen als ehemaliger PO einfließen. Feedback von Teammitgliedern und anderen Bereichsleitern wird aufgenommen und in den Ansatz integriert, was das Vertrauen aller in das Experiment stärkt. Trotz anfänglicher Bedenken, insbesondere bezüglich der Einbindung externer Stakeholder, ist Manfred am Ende überzeugt von dem eingeschlagenen Weg.

Und was hat das mit einer Transformation zu tun?

In dieser Szene wird die feine Kunst des Navigierens durch die komplizierten Gewässer einer Transformation beleuchtet. Besonders hervorzuheben sind:

  1. Anpassungsfähigkeit: Die Diskussionen über verschiedene methodische Ansätze, von Scrum bis Kanban, zeigen die Notwendigkeit einer flexiblen Herangehensweise an Transformationen. In einem sich ständig wandelnden Umfeld kann das Festhalten an einem einzigen Ansatz hinderlich sein. Es ist wichtig, offen für verschiedene Ansätze zu sein, um den besten Weg für den spezifischen Kontext und die Herausforderungen der Organisation zu finden.
  2. Anerkennung von Herausforderungen: Manfreds Bewusstsein für potenzielle Fallstricke und Schwierigkeiten ist entscheidend. Zu oft werden solche Herausforderungen entweder übersehen oder ignoriert, was zu unerwarteten Hindernissen führen kann. Das Erkennen und Anerkennen dieser Herausforderungen von Anfang an ermöglicht es, proaktiv zu handeln und die richtige Unterstützung zu bieten.
  3. Vermeidung von Verantwortungsdiffusion: Während die kollektive Entscheidungsfindung wertvoll ist, hebt Manfred hervor, dass es entscheidend ist, klare Verantwortlichkeiten zu definieren. In gemeinschaftlichen Entscheidungssituationen muss klar sein, wer die Verantwortung trägt, um das Risiko der Verantwortungsdiffusion zu vermeiden.
  4. Die Balance zwischen Führung und Empowerment: Während Manfred eine klare Vision hat, erkennt er auch die Bedeutung des Empowerments seiner Teams. Sein Vertrauen in das PO-Team, gepaart mit seiner Bereitschaft, seine eigenen Erfahrungen zu teilen, zeigt, wie wichtig es ist, Führung mit Teamautonomie zu balancieren.
  5. Der Wert von kollektivem Wissen: Die Einbeziehung von Teammitgliedern und anderen Bereichsleitern unterstreicht die Bedeutung des kollektiven Wissens. Ein Einzelner kann nicht alle Facetten einer Transformation sehen, aber eine Gruppe kann eine viel vollständigere Sicht auf die Herausforderungen und Möglichkeiten bieten.
  6. Die subtile Rolle des Leaders: Manfred zeigt, dass wahre Führung nicht immer bedeutet, im Rampenlicht zu stehen. Manchmal bedeutet es, im Hintergrund zu bleiben, zuzuhören und andere ihre Expertise einbringen zu lassen.

Eine erfolgreiche Transformation wird also nicht dadurch erreicht, dass es klare Vorgaben und Anweisungen gibt. Sie erfordert eine Kombination aus Flexibilität, Anerkennung von Herausforderungen, klaren Verantwortlichkeiten, kollektivem Wissen und einer ausgewogenen Führung.


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Anmerkung: Dieser Artikel wird in regelmäßigen Abständen erweitert.

Wir sehen hier den ersten Teil der Geschichte. Im Folgenden werden alle 2 Wochen weitere Szenen und weitere Blickwinkel dazukommen. Bleibt also​ gespannt und kommt gerne wieder.